
Journalist Ghazi zur Lage in Iran
Wie ist die Lage in Teheran? Verlässliche Informationen gibt es kaum. Der freie Journalist Faramarz Ghazi ist noch vor Ort. Er berichtet über heimlich begrabene Tote und erklärt im heute.de-Interview, warum die Zeit der Massendemos vorbei ist.
heute.de: Es sind kaum Nachrichten und Bilder mehr aus Teheran zu bekommen. Ist es ruhig geworden oder trügt der Schein?
Ghazi: Ein geplanter Trauermarsch ist am Donnerstag abgesagt worden, weil ihn das Innenministerium nicht genehmigt hat. Und auch am Mittwoch waren nur etwa 200 Leute auf der Straße. Die Zahl der Demonstranten ist von Tag zu Tag zurückgegangen.
heute.de: Und warum? Haben die Leute aufgegeben oder haben sie Angst?

Ghazi: Sie haben eher Angst, aufgegeben haben sie nicht. Die Demonstrationen fingen ja als friedliche Kundgebungen des Bürgertums an, die Leute wollten nur mit ihrer Stimme etwas erreichen. Die Masse war auf die Gewalt, die ihr entgegen schlug, nicht vorbereitet und nicht bereit, sich darauf einzulassen. Die Sicherheitskräfte sind ziemlich hart vorgegangen, von Dächern wurde auf Demonstranten geschossen.
heute.de: Im Internet kursieren Gerüchte, am Mittwoch habe es auf dem Platz vor dem Parlament, dem Baharestan-Platz, ein Blutbad gegeben, in manchen Blogs ist sogar von einem Massaker die Rede.
Ghazi: Das ist schwer zu verifizieren. Im Internet tauchen auch Bilder von angeblichen Protesten in Teheran auf, die nicht mal aus Iran sind. Aber ich will das auch nicht dementieren, es hat genug Tote gegeben in den vergangenen Tagen.
heute.de: Wie viele denn? Offiziell ist von 17 die Rede.
MEDIATHEK
Ghazi: Da gibt es keine konkreten Zahlen. Man spricht von 38, manche sprechen sogar von 50, ich habe sogar die Zahl 150 gehört. Die Leichen werden nicht an die Angehörigen übergegeben, in vielen Fällen werden sie klammheimlich begraben. So wird die Zahl der Toten einfach nicht bekannt.
heute.de: Auch die Zahlen über Festnahmen schwanken. Wie viele Menschen sind nach Ihren Informationen verhaftet worden?
Ghazi: Es sollen 500 insgesamt sein. Jede Menge Journalisten, jede Menge Reformisten, Leute, die Mussawi nahe stehen. Am Mittwochabend sind außerdem 70 Universitätsprofessoren festgenommen und abgeführt worden, wohin weiß man nicht.
heute.de: Die wenigen nicht-offiziellen Informationen, die man bekommt, sind oft Fotos und Filme, die mit dem Handy aufgenommen werden. Wie ist die Situation mit dem Mobilfunk-Netz? Trauen sich die Leute überhaupt noch, öffentlich zu fotografieren?
MEDIATHEK
Ghazi: Das SMS-Netz funktioniert schon seit dem Wahltag nicht mehr. Gefilmt und fotografiert wird, das sieht man ja im Internet. Aber die, die das machen, riskieren schon was. Mittlerweile sind wenige Leute auf der Straße, wer fotografiert, fällt sofort auf. Und die Polizei achtet natürlich besonders darauf, wer mit dem Handy Aufnahmen macht. Aber vielleicht sind jetzt auch weniger Bilder im Internet zu sehen, weil einfach weniger passiert.
heute.de: Was meinen Sie, wie es weitergeht? Sind die Proteste jetzt einfach vorbei?
Ghazi: Die Proteste in Form der Massendemonstration sind vorbei. Die Leute sind ratlos, sie wissen nicht, wie es weiter gehen soll. Sie wollten das politische System mit friedlichen Mitteln zu Kompromissen zwingen. Aber das haben sie nicht erreicht, das System zeigt sich einfach nicht kompromissbereit.
heute.de: Aber die Leute werden nicht einfach nach Hause gehen und alles vergessen. Die Probleme bestehen ja weiter.
Ghazi: Die Leute werden erstmal abwarten. Neue Demonstrationen wird es wohl nicht geben, jede kleine Versammlung wird sofort gesprengt werden. Die Sicherheitskräfte sind Herr der Lage. Die friedlichen Demonstrationen führen zu nichts, das ist eine Sackgasse, für beide Seiten.
Aber die Situation ist eine andere als vor der Wahl. Das politische System hat das Bürgertum verloren, und es versucht nicht mal eine Versöhnung. Da muss man weiterhin mit Krisen rechnen. In welcher Form weiß keiner.
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